Das Interview mit Gerald Klamer, ehemaliger Förster und Waldbegeisterter Zwischen röhrenden Hirschen und toten Bäumen

Gerald Klamer hat seinen Job als Förster an den Nagel gehängt, um durch Deutschlands Wälder zu wandern. 6.000 Kilometer, zehn Monate lang, kreuz und quer durchs Land. Im Interview spricht er über seine Motivation, Begegnungen mit Wilschweinen, schöne und katastrophale Wälder.

Gerald Klamer
Gerald Klamer Bild © Nora Börding
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Wenn man Gerald Klamer Geräusche aus dem Wald vorspielt, dann weiß er gleich: "ein Frühlingswald, so im April." Er muss es wissen, denn wohl kaum jemand in Deutschland hat so viel Zeit am Stück im Wald verbracht wie er.

Der Förster hat zu Beginn des Jahres seinen Job an den Nagel gehängt, seine Wohnung aufgelöst und das Auto verkauft, um durch Deutschlands Wälder zu wandern. 6.000 Kilometer, von Februar bis November, kreuz und quer durchs Land. Er wollte damit auf den Zustand des Waldes aufmerksam machen.

Im Wildschwein-Kessel

Geschlafen hat er meistens draußen, bei schlechtem Wetter unter einer Plane, am liebsten aber unter freiem Himmel. "Wenn ich am Abend auf meiner Matte liege und in die Baumkronen gucke, dann fühle ich mich richtig verbunden mit dem Wald", sagt er, "das ist ein besonders schöner Moment."

Ob das nicht gefährlich sei? Nein, sagt Klamer, der deutsche Wald sei eigentlich ziemlich ungefährlich, gerade was große Tiere angehe. Er sei mehrfach fast in einen Kessel reingestolpert, wo die Wildschweinmutter mit ihren Jungen gelegen habe, "und das wäre ja eigentlich die Situation, wo die Mutter unbedingt angreifen muss, um ihre Jungen zu verteidigen. Aber die ist jedes Mal weggelaufen." Von Wildschweinen gehe also "überhaupt keine Gefahr" für Spaziergänger im Wald aus.

Die Missstände benennen

Auch ein röhrender Hirsch, neben dem er eines Nachts aufgewacht sei, habe sich nicht weiter für ihn interessiert. Gefährlicher seien da die Nächte gewesen, in denen es Sturm und Gewitter gab, sagt Klamer, "da kann einem schon angst und bange werden" - nicht so sehr wegen der Blitzeinschläge, sondern wegen abbrechender Äste und umfallender Bäume.

Alle zehn Nächte etwa zog es ihn in eine feste Unterkunft, zum Duschen und Wäschewaschen, aber vor allem, um seine elektrischen Geräte aufzuladen. Was er im Wald erlebte, tippte er nämlich direkt in seinen Blog "Waldbegeisterung", um seine Erfahrungen mit anderen zu teilen. Er will keine negativen Botschaften verbreiten, denn das törne die Leute nur ab. Er will nicht sagen, der Wald sei nicht mehr zu retten und es sei eh alles zu spät. "Unser Wald ist nach wie vor sehr schön und man kann tausend Sachen darin sehen und erleben", sagt er. Aber man sollte auch auf Missstände hinweisen. Und davon hat er viele gesehen in den zehn Monaten, in denen er unterwegs war.

Wald-Katastrophengebiete

Das schlimmste "Wald-Katastrophengebiet", das er gesehen habe, sei der Harz, sagt Klamer. "Weil da wirklich ganze Berge abgestorben sind. Da hat sich die Landschaft in den letzten drei Jahren radikal verändert. Das war das Einschneidenste, was ich gesehen habe." In Hessen sei es der Reinhardswald, in dem es die meisten Schäden gebe. "Da ging es 2018 mit dem Sturm Friederike los und danach folgte eine große Borkenkäfervermehrung, sodass ähnlich wie im Harz große Flächen abgestorben sind."

Und auch in der Rhein-Main-Ebene, dem wärmsten Gebiet in Hessen, seien die Laubbäume sehr in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Buche, die ein bisschen mehr Wasser brauche als die Eiche, komme hier schon "ein bisschen an ihre Grenzen. Das sieht man auch, wenn man mit der Bahn Richtung Darmstadt fährt: die ganzen abgestorbenen Kronen. Die Bäume sind nicht ganz tot, aber viele Äste in den Kronen sind abgestorben."

Manches auf der Tour brachte den erfahrenen Förster auch an seine Grenzen. Abgestorbene Fichtenflächen habe er schon gekannt, sagt er, abgestorbene Laubbaumbestände nicht. Als er das in Rheinland-Pfalz gesehen habe, wo relativ dicht am Rhein der Grundwasserspiegel innerhalb von drei Jahren um zwei Meter abgesunken und Buchenbestände auf 30 Hektar komplett abgestorben seien, "da sind mir die Tränen in die Augen gestiegen."

Licht und Schatten

Doch neben dem Schatten gebe es auch Licht in Deutschlands Wald, sagt Klamer, neben dem Katastrophen-Wald auch den schönsten Wald, den er auf seiner Tour gesehen habe: den Hainich in Thüringen nämlich, der größte geschützte Laubwald mit einer sehr alten, zusammenhängenden Waldfläche von 5.000 Hektar.

Optimistisch stimmt ihn auch, was er in vielen naturnah wirtschaftenden Betrieben gesehen habe: "Da, wo man sich bemüht, den Wald gemischter zu halten und auch starke Aufforstungen in Laubwaldbeständen vermeidet, steht der Wald stabiler und gesünder." Und: Es gebe durchaus Baumarten in Deutschland, die sich an die künftigen Klimabedingungen anpassen könnten. Manche Buchen- und Eichenarten etwa, aber zum Teil auch Bäume, die bisher keine so große Rolle spielten wie etwa Linden, Elsbeeren oder Wildbirnen.

Ausländische Baumarten wie die Douglasie, mit denen man aufgrund des Klimawandels experimentiert habe, seien jedenfalls nicht immer die Lösung, das habe er auf seiner Tour gesehen. In Rheinland-Pfalz, wo man vor zehn Jahren noch fest auf die klimarobuste Baumart gesetzt habe, gebe es inzwischen große Probleme wegen eingeführter Pilzarten.

Jeder einzelne ist gefordert

Dass Klimaschutz für die neue Bundesregierung ein zentrales Thema ist, stimmt Gerald Klamer vorsichtig optimistisch: "Ich denke schon, dass sich ein bisschen was ändern wird." Aber es gebe auch Dinge, die ihn skeptisch machen – der Ausbau der Windkraft etwa. Er sei zwar auch davon überzeugt, dass es nicht ohne gehe, aber große geschlossene Waldgebiete wie etwa der Pfälzerwald sollten verschont bleiben. "Wir brauchen auch weiterhin Rückzugsräume, wo man wirklich noch einen ungestörten Wald erleben kann, der nicht durch Windräder verändert oder verlärmt wurde."

Letztlich komme es aber nicht nur auf die Politik an, sagt Klamer. "Das Wählen ist als Bürger ganz wichtig. Aber das zweite, was auch sehr wichtig ist, ist der persönliche Lebensstil." Mit seinem Blog Waldbegeisterung will er dazu beitragen, dass Menschen sich genau darüber Gedanken machen. "Wenn man tatsächlich bei jeder Kaufentscheidung überlegt: Muss ich das jetzt wirklich haben oder kann ich vielleicht auch darauf verzichten? Dann ist das ein ganz wichtiger Beitrag, den der Einzelne leisten kann.“"

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Das Interview führte Mariela Milkowa.

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Sendung: hr-iNFO "Das Interview", 4.12.2021, 10:05 Uhr

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Quelle: hr-iNFO, csi