Das Interview mit Professor Michèle Wessa, Resilienzforscherin "Selbstwirksamkeit ist ein zentraler Resilienz-Mechanismus"
Resilienz ist die Fähigkeit, auch in Krisenzeiten psychisch gesund zu bleiben. Wie das gelingen kann, erforscht Michèle Wessa am europaweit ersten Zentrum zur Resilienzforschung in Mainz. Im Interview spricht sie darüber, wie eine persönliche Flaschenpost und ein renovierter Wohnwagen helfen können.
Mit der Resilienz ist es ein bisschen so wie mit dem Fußballspielen: Talent ist gut, aber Übung macht besser. Wer also schon von Natur aus gut mit Stress umgehen und in Krisen psychisch stabil bleiben könne, sollte sich nicht darauf verlassen, dass das immer so bleibt, sagt die Psychologie-Professorin und Resilienzforscherin Michèle Wessa. Umgekehrt könnten auch weniger Talentierte Resilienz lernen, wenn sie bestimmte Strategien immer wieder übten.
Freundlich zu sich selbst sein
Eine dieser Strategien ist zum Beispiel die persönliche Flaschenpost: Dabei geht es darum, „sich selbst einen Brief zu schreiben aus der Perspektive eines Freundes, in dem man sich gütig und weniger kritisch sieht, in dem man einfach freundlich zu sich selbst ist“, sagt Wessa, denn häufig betrachte man sich selbst viel kritischer als andere. Ein solcher Brief helfe enorm, „so ein bisschen geradezurücken, was wir vielleicht auch gerade in so einer Pandemie-Situation alles leisten und wie gut wir das hinkriegen.“ Und je öfter man diese Strategien übe, desto mehr verfestigten sie sich, „und umso öfter werde ich das auch mal automatisch tun und sagen: ‚Mensch, das war doch jetzt eigentlich total in Ordnung, sei zufrieden mit dir.‘“
Mit dem eigenen Tun Dinge verändern
Einen anderen „Resilienz-Mechanismus“ hat Wessa während der Corona-Pandemie mit ihrer Familie selbst angewandt: Sie hat einen alten Wohnwagen gekauft - „aus den 70er, 80er Jahren, der auch dementsprechend aussah“ - und ihn zusammen mit ihrem Mann und ihren Kindern "mit viel Liebe und Mühe renoviert". Das Resilienz-Geheimnis hinter dem Projekt lautet: Selbstwirksamkeit. „Der Kern von so einem Projekt ist ja, dass man sich selbst was vornimmt, es selbst initiiert und in die Tat umsetzt und dadurch so was erlebt, was wir in der Psychologie Selbstwirksamkeit nennen.“ Also: sich selbst als wirksam empfinden; eine Situation meistern zu können; etwas schaffen, das man sich vorgenommen hat; mit seinem eigenen Tun Dinge verändern können. „Das ist total wichtig und wir wissen aus ganz vielen Untersuchungen, dass die Selbstwirksamkeit ein ganz, ganz zentraler Resilienz-Mechanismus ist.“ Und über solche kleinen Dinge wie den Umbau eines alten Wohnwagens könne er tatsächlich gefördert werden, sagt Wessa.
Oder über Weinberge, die sie jetzt gerne aus ihrem frisch renovierten Wohnwagen betrachtet – ob in Frankreich oder rund um das kleine Weindorf in der Pfalz, in dem sie mit ihrer Familie lebt. „Das ist auch wirklich ein ganz großer Teil, aus dem ich viel meiner Resilienz ziehen kann“, sagt Wessa, „weil es einfach eine wahnsinnig schöne Umgebung ist, unheimlich freundliche und gesellige Menschen, sodass man eigentlich nie wirklich alleine ist, wenn man nicht durch den Lockdown dazu verdammt ist.“ Man habe immer jemanden, mit dem man was tun könne, mit dem man sprechen und sich austauschen könne - "und das ist wahnsinnig schön.“
Aus dem Grübeln rauskommen
Für Pandemie-Geplagte hat Wessa zwei weitere Tipps, die helfen können, die Krise zu überstehen. Zum einen sollte man sich nicht zu viel damit beschäftigen, was in fernerer Zukunft liegt. Also etwa, wie der Urlaub im nächsten Jahr aussehen kann oder wie man Weihnachten feiert. Denn man könne die Lage insgesamt ohnehin kaum beeinflussen und sie sei „mit so viel Unsicherheit behaftet, dass wir sowieso keine Antwort finden und uns dann in so einem Gedankenkreislauf befinden, der sich schwer auflösen lässt.“ Man solle also mehr im Augenblick leben und „ein Stück weit mitnehmen, was immer noch geht.“
Zum anderen sei es wichtig, sich eben doch ein Stück weit mit dem Thema zu beschäftigen und zum Beispiel mit dem Partner und den Kindern darüber zu sprechen – aber auf konstruktive Art. Sich zum Beispiel zu überlegen: Wenn diese Situation wieder auftreten sollte, wie wollen wir das dieses Mal meistern? Was können wir anders machen als letztes Mal? Was waren Dinge, die uns geholfen haben? „Ich glaube, das ist ganz wichtig, sich einfach konstruktiv damit auseinanderzusetzen, um nicht in dieses Grübeln reinzukommen, dem man ja so ein Stück weit hilflos ausgeliefert ist."
Optimistische Grundhaltung ist Resilienz-förderlich
Letztlich geht es also auch um eine gewisse Haltung, die generell dabei helfe, Krisen gut zu überstehen, sagt Wessa: „Das wissen wir tatsächlich, dass eine optimistische Grundhaltung eher Resilienz-förderlich ist.“ Sie sei keine Verfechterin davon, dass alles immer gut sein muss oder sofort gut wird. Es gebe Situationen, die seien gar nicht gut. „Aber trotzdem gibt es so ein Grundvertrauen, dass Dinge auch auf einem Umweg wieder gut werden können. Und ich glaube, wenn man das hat, dann sucht man sich diese Wege auch. Dann ist man auch offen dafür, was sich einem anbietet. Und ich glaube, das ist ein großer Vorteil.“
Überstandene Stress-Situationen könnten die eigene Resilienz schließlich auch stärken, sagt Wessa: nämlich indem man die Erfahrung mache, „dass wir sie bewältigen können und damit umgehen können. Das versetzt uns beim nächsten Mal in die Lage, dass wir auf dieses Wissen zurückgreifen und dass wir uns eher trauen, etwas zu tun, um die Situation zu bewältigen. Insofern verstärkt sich das immer weiter.“ Deshalb sei es auch ganz wichtig, Kinder nicht immer vor schwierigen Situationen zu bewahren und ihnen alles abzunehmen, sondern sie selbst ihre Erfahrungen machen zu lassen.
Sendung: hr-iNFO "Das Interview", 6.11.2021, 10:05 Uhr
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