Antisemitismusbeauftragter "Die Gesellschaft ist gefordert, Antisemitismus zurückzudrängen"
Nach dem Terrorangriff auf Israel fürchten auch jüdische Familien in Deutschland um ihre Sicherheit. Die gesamte Gesellschaft sei nun gefordert, Antisemitismus zu bekämpfen, sagt der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, im Interview.
Antisemitismus hat viele Quellen. Nach dem Terrorangriff auf Israel richtet sich der Blick vor allem auf den islamistischen Antisemitismus, auch in Deutschland. Die Sicherheitsvorkehrungen in jüdischen Einrichtungen und Schulen wurden auch hierzulande verstärkt. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, nennt die Situation im Gespräch mit hr-iNFO besorgniserregend.
hr-iNFO: Herr Klein, wie gefährlich leben Juden derzeit in unserem Land?
Felix Klein: Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat gesagt, dass Deutschland immer noch ein sicheres Land für Juden sei. Aber trotzdem sind natürlich viele Familien besorgt. Jüdische Schulen und auch die Kindergärten bleiben aus Sicherheitsgründen leer. Wir sehen verstärkte Sicherheitsmaßnahmen vor jüdischen Einrichtungen. Das ist schon wirklich besorgniserregend.
Wir müssen jetzt gesamtgesellschaftlich etwas tun. Nicht nur Polizei und Justiz sind gefordert, Antisemitismus zurückzudrängen. Wir sind auch als Gesellschaft gefordert, Solidarität zu zeigen.
hr-iNFO: Sie hatten diese Woche gefordert, dass antisemitische Vorfälle in Schulen gemeldet werden sollen. Was machen Sie dann mit Schülern, die sich in der Schule antisemitisch geäußert haben?
Klein: Also zunächst einmal freue ich mich, dass in Hessen eine derartige Meldepflicht gibt. Die Forderung ist deswegen so wichtig, weil es nach einem antisemitischen Vorfall in der Schule erstmal darum geht, ob das überhaupt gemeldet wird und wie man damit umgehen sollte. Es wird der gute Ruf der Schule in Gefahr gesehen. Eltern, die eigentlich damit gar nichts zu tun haben, melden sich also. Es gibt dadurch ein ziemliches Durcheinander.
Wenn es eine Meldepflicht gibt, die vorher vom Kultusministerium festgelegt wird, kommt man von Anfang an in geordnete Bahnen. Das Wichtigste ist, dass so ein Vorfall nicht stehen bleibt. Es muss sofort eingegriffen werden. Die Lehrkraft, die einen antisemitischen Vorfall mitbekommt, oder auch andere Schüler müssen sofort darauf reagieren. Wir dürfen nicht zulassen, dass so ein aggressives, diskriminierendes Verhalten unwidersprochen bleibt.
hr-iNFO: Die Schule ist natürlich nur ein Ort. Was ist mit anderen Orten in Deutschland, wo dieser Antisemitismus auch deutlich zu sehen und zu spüren ist?
Klein: Das gilt auch für den Rest der Gesellschaft. Auf meine Initiative hin haben wir ein Meldesystem für antisemitische Vorfälle aufgebaut, die unterhalb der Strafbarkeitsgrenze liegen.
Das ist ja das, was die Lebensqualität von Jüdinnen und Juden so einschränkt: Gesten, blöde Sprüche, die man im Alltag erlebt oder am Arbeitsplatz oder auch im Fußballstadion. Diese können die Betroffenen, die oftmals dann auch traumatisiert sind, angeben. Wenn der Vorfall strafrechtlich relevant ist, sollte man zur Polizei gehen und das wirklich melden. Denn nur dann kann sich etwas ändern.
hr-iNFO: Sie sind in Darmstadt geboren, haben in Italien Abitur gemacht, in Freiburg studiert und in der Schweiz promoviert. Als Diplomat waren Sie unter anderem in Südamerika und Afrika unterwegs. Sie haben also einen guten Überblick über die Weltlage. Was würden Sie sich denn wünschen, damit Sie als Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung möglichst wenig Arbeit bekommen?
Was mir besonders wichtig ist: In Deutschland hat der Kampf gegen Antisemitismus eine besondere Bedeutung. In Deutschland wurde der Antisemitismus nicht erfunden, aber der Holocaust. Wir haben in unserem Land gesehen, wohin ein konsequent zu Ende gedachter Antisemitismus geführt hat, nämlich zur systematischen Vernichtung von sechs Millionen Menschen. Deswegen ist der Kampf hier ein ganz besonderer.
Ich würde mir natürlich wünschen, dass die Menschen verstehen, dass das jetzt nicht nur die jüdische Gemeinschaft bedroht, sondern eben auch die Demokratie. Der Schutz von Minderheiten ist ein ganz wichtiger Indikator für den Zustand einer Demokratie. Und das gilt weltweit.
Das Gespräch führte Matthias Decher, hr-iNFO.