Geflüchtete in Hessens Kommunen "Man hat offensichtlich wenig gelernt"

Container, Festhallen, Zeltstädte: Viele Kommunen und Kreise suchen in Hessen gerade händeringend nach Orten, wo sie Geflüchtete unterbringen können. Denn noch immer kommen Menschen aus der Ukraine, die Schutz suchen, und auch die Zahl der Asylbewerber aus anderen Ländern ist wieder gestiegen. Welche Herausforderungen das mit sich bringt, zeigt sich am Beispiel von Bensheim und Lindenfels.

Provisorische Unterkunft für Geflüchtete
Bild © picture-alliance/dpa
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Einfache Stockbetten aus Metall, verborgen hinter mit Tüchern und Planen verhängten Bauzäunen: So leben rund 350 Geflüchtete aus der Ukraine gerade in der sogenannten Zeltstadt in Bensheim. Vier große weiße Zelte ragen hier in die Höhe – sie ähneln eher Leichtbauhallen. Maximal 1000 Menschen könnten hier lieben. All das ist eine Notlösung, sagt der Bergsträßer Kreisbeigeordnete Matthias Schimpf. Aber eine andere gebe es nicht.

Noch schwieriger als 2015

Der Politiker von den Grünen sagt, die Lage sei noch schwieriger als 2015. "Früher war es so: Wir haben die Leute zentral aufgenommen und haben sie dann nach und nach in kleinere Unterkünfte umgesetzt." Wohnungen zu bekommen, sei schon seit 2015 schwierig gewesen, aber inzwischen habe sich die Lage nochmal verschlechtert - auch was größere Unterkünfte angehe. "Wir haben ja dann immer Gewerbehallen angemietet. Das ist auf dem Markt aber praktisch nicht mehr verfügbar", so Schimpf.

Früher angemietete Gebäude seien inzwischen anders genutzt. Und auch das ehemalige Luisenkrankenhaus in Lindenfels im Odenwald, das im Sommer die Zeltstadt in Bensheim ablösen sollte, bietet kaum noch Platz. 313 Menschen leben jetzt in den Zimmern, wo früher Patienten lagen. Teilen sich Bäder und Küchen. Der Lindenfelser Bürgermeister Michael Helbig sagt trotzdem: "Bisher läuft alles reibungslos. Ich bin da immer sehr vorsichtig. aber im Moment ist da nichts feststellbar. Es sind zwar gut zehn Prozent Einwohner in der Kernstadt mehr, aber die kommen nicht in Wellen. Es gehen alle nacheinander in den Supermarkt oder zu den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Heppenheim oder Fürth."

Keine Zwischenfälle

Die neuen Mitbürger sind unauffällig, berichtet auch Johanna aus der Eisdiele in Lindenfels: "Sehr angenehm, es gibt keine Zwischenfälle. Sie sprechen wenig Deutsch, aber mit Händen und Füßen geht es." Doch Bürgermeister Helbig weiß auch: Der Winter steht bevor, wo die Leute mehr drinnen sein werden, wo es enger werden wird. Immer häufiger erreichen ihn Anfragen nach Mietswohnungen. Doch auch in der kleinen Stadt Lindenfels gibt es keinen freien Wohnraum mehr.

Zusätzlich können manche ukrainischen Familien auch nicht in den privaten Unterkünften bleiben, in denen sie bisher gelebt haben, weiß der Bergsträßer Kreisbeigeordnete Matthias Schimpf: "Ich glaube, es ist grundsätzlich das Problem, dass Unterkünfte, die zur Verfügung gestellt wurden, nicht Unterkünfte waren, die geeignet waren. Und dann sagen die Leute: 'Ich will das eigentlich nicht mehr.'"

Kommunen fühlen sich allein gelassen

Matthias Schimpf weiß nicht genau, was in den nächsten Monaten auf ihn zukommt. Gerade sind es pro Woche noch etwa 50 Geflüchtete aus der Ukraine, die in den Kreis kommen. Zusätzlich mal 60, mal 70 Geflüchtete aus Ländern wie Afghanistan und Syrien. Und dabei geht es um Menschen, die Hilfe und auch eine Perspektive brauchen, stellt Schimpf klar. "Was mich insgesamt ärgert, dass man aus dem 2015er Aufkommen offensichtlich wenig gelernt hat. Sondern sich die Kommunen alleingelassen fühlen. Was dazu kommt, ist die Verunsicherung, die wir haben. Viele sind verunsichert, beim Thema Energiekosten, beim Thema Lebenshaltungskosten."

Die steigenden Kosten für Energie und Lebensmittel treffen auch die Flüchtlingsunterkünfte. Wie viel Geld für den Winter nötig sein wird, kann Matthias Schimpf nur schwer kalkulieren. Er wünscht sich deshalb dringend mehr Unterstützung vom Land. Mehr Erstaufnahmeeinrichtungen. Klar ist für Matthias Schimpf nur: Provisorien wie die Zeltstadt Bensheim werden weiter dringend gebraucht. Und deshalb werden dort jetzt die Löcher verschlossen, die leichten Wände gedämmt und Ventilatoren angebracht. Damit es zumindest 21 Grad warm ist.

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Wie viele Geflüchtete kommen derzeit nach Deutschland?

Von Selina Rust

Die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland ist wieder stark gestiegen. Schauen wir zunächst auf die Zahl der Asylanträge: In diesem Jahr wurden etwas mehr als 132.000 Asylanträge gestellt, so das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge . Das sind das fast 35 Prozent mehr als noch zur gleichen Zeit vor einem Jahr. Die meisten Asylsuchenden kommen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak oder der Türkei. Derzeit versuchen wieder mehr Migrantinnen und Migranten über die sogenannte Balkanroute nach Europa zu kommen. Denn die Menschen ziehen los, bevor es kalt wird – und das Winterwetter den Weg zu Fuß oder über das Mittelmeer schwer bis unmöglich macht.

Die ukrainischen Flüchtlinge werden bei der Zahl der Asylanträge nicht mitgerechnet, denn sie müssen in Deutschland keinen Asylantrag stellen. Seit Ende Februar wurden fast eine Million Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland registriert, so das Bundesinnenministerium Sie machen derzeit 97 Prozent aller der in Deutschland registrierten Flüchtlinge aus. Da sie ohne Visum in die Europäische Union einreisen und sich im Schengenraum frei bewegen können, lässt sich nicht sicher feststellen, wie viele Ukrainerinnen und Ukrainer weitergereist sind bzw. Deutschland schon wieder verlassen haben. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs sind wegen Kriegsdienstverweigerung 274 russische Staatsangehörigen und 164 Familienangehörige in Deutschland aufgenommen worden.

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Sendung: hr-iNFO "Aktuell", 11.10.2022, 6 bis 9 Uhr

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Quelle: hr INFO