Holocaust-Überlebende auf TikTok "Ich wusste, dass es in einen Raum geht, aus dem man nicht mehr rauskommt"
Als die Soldaten der Roten Armee am 27. Januar 1945 Auschwitz erreichen, finden sie unter den Überlebenden auch Kinder. Unter ihnen ist die damals sechsjährige Tova Friedman. Heute, mit 84, erzählt sie ihre Geschichte gemeinsam mit ihrem Enkel auf TikTok. Und erreicht damit Millionen junge Menschen.
"Ich überlebte durch ein Wunder, nur durch ein Wunder ", sagt Tova Friedman. "1,5 Millionen Kinder wurden im Holocaust ermordet. Ich hatte Glück, also muss ich jetzt eine Zeugin für sie sein, für das, was ihnen angetan wurde. Denn sie sind nicht mehr da, um zu erzählen." Tovas Geschichte beginnt in einer polnischen Kleinstadt. 1938 geboren, muss sie schon als kleines Kind mit ihrer Familie im dortigen Ghetto leben. Schließlich wird ihr Vater nach Dachau deportiert und ihre Mutter und sie selbst nach Auschwitz. Da ist sie noch keine sechs Jahre alt.
Auf dem Weg zur Gaskammer
Getrennt von der Mutter muss sie dort zusammen mit 50 anderen Kindern einen Weg antreten, von dem sie, so klein sie auch ist, ahnt, dass es ein endgültiger Weg ist. "Sie brachten uns zur Gaskammer. Wir mussten uns im Vorraum ausziehen und warten in eisiger Kälte. Ich wusste, dass es nun in einen Raum geht, aus dem man nicht mehr rauskommt. Ich sah den Raum mit dem kleinen Fenster. Ich erinnere mich nicht an alle Details. Ich weiß nur, es war furchtbar kalt und die Kinder um mich weinten."
Plötzlich brüllen die SS-Männer, dass alle wieder raus sollen. Tova Friedman erinnert sich, dass einer sagte: 'Das ist der falsche Block, die kommen später dran.' Der deutschen Vernichtungsbürokratie war ein Fehler unterlaufen und Tova überlebt, geht in die USA, studiert, gründet eine Familie. Sie schreibt ein Buch über ihre Geschichte.
Mit den Enkeln in Auschwitz
Im vergangenen Sommer schließlich reist sie mit fünf ihrer acht Enkel nach Auschwitz. Einer von ihnen, Aron, filmt diesen Besuch. Er sagt: "Als ich wieder zurück in der Schule war, wollte ich irgendwas mit dem Drehmaterial machen. Also hab ich daraus einen Film geschnitten und ihn auf YouTube hochgeladen. Und damit begann alles. Ich habe dann Teile daraus auf TikTok gestellt und wir bekamen ein sehr großes Feedback. Und ich habe zu Großmutter gesagt: 'Lass uns Videos drehen, die Leute auf TikTok reden über den Holocaust. Das ist ein großartiger Ort, deine Geschichte zu erzählen.'"
"Ich hatte vorher noch nie was von TikTok gehört, bis mein Enkel mir davon erzählt hat", sagt Tova. "Viele wollten meine Häftlingsnummer sehen, sie sagten: 'Ist das wirklich passiert? Zeigen Sie mal Ihre Nummer.' Sie waren geschockt. Sie haben noch niemals davon gehört." Mehr als 130 Videos stehen mittlerweile auf ihrem TikTok-Kanal. Sie erzählen von Erinnerungen und Erlebnissen. Sie erklären, was geschah, und sie beschäftigen sich auch mit Judentum und jüdischer Kultur heute.
"Ich möchte nicht, dass die Geschichten verloren gehen"
Der überwältigende Erfolg zeigt, dass TikTok viel mehr sein kann als eine Spaß-Plattform, findet Tovas Enkel Aron: "TikTok ist nicht nur dafür da, Geschichten zu verbreiten. Es ist auch dafür da, Fragen zu beantworten. Und eine Menge unserer Videos sind Antworten auf Fragen, die wir bekommen haben. Das sind nicht nur ein oder zwei Leute aus meiner Stadt, wir reden hier von 60 Millionen Menschen weltweit."
Tova Friedman hat überlebt, ihre Eltern auch, aber 150 weitere Familienmitglieder nicht. Wie bewahren wir die Erinnerung? Die Resonanz auf Tovas TikTok-Kanal jedenfalls zeigt: Junge Menschen haben großes Interesse am Thema. Und es ist wichtig zu bewahren, was die letzten Zeitzeugen erzählen. "Viele der Holocaust-Überlebenden sterben jetzt. Ihre Geschichten drohen, verloren zu gehen, und ich möchte nicht, dass sie verloren gehen", sagt Tova Friedman.
Sendung: hr-iNFO "Aktuell", 27.1.2023, 6 bis 9 Uhr
Ende der weiteren Informationen