Kommentar zu "NSU-Akten" Lückenlose Aufklärung geht anders

Der hessischen Landesregierung sollte nach der Veröffentlichung der sogenannten NSU-Akten durch das ZDF Magazin Royale mehr einfallen als Abwehr, meint unsere Kommentatorin. Sonst bestärke sich nur der Eindruck, dass ihr mehr daran lag, Fehler zu vertuschen als die Morde aufzuklären.

Ordner mit der Aufschrift "NSU-Ausschuss Hessen 19/2"
Bild © picture-alliance/dpa
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Es ist schon längst, wirklich längst überfällig, dass wir alle endlich einen Einblick in diese Akten des hessischen Verfassungsschutzes bekommen. Dass wir uns selbst einen Eindruck davon verschaffen können, wie er mit rechtsextremen Gruppen und rechtem Terror in den letzten Jahrzehnten umgegangen ist. Und ja, es steht nicht viel Neues drinnen. Aber genau deswegen wirft es noch mal die Frage auf: Warum in aller Welt konnte die hessische Landesregierung, also CDU und die Grünen, diese Unterlagen nicht schon viel früher veröffentlichen?

Aufregung vonseiten der CDU nicht nachvollziehbar

Warum konnte man nicht - durchaus mit Augenmaß und vielleicht auch mit dem einen oder anderen geschwärzten Namen – sagen: Hier, das haben die Untersuchungen ergeben. Zum einen war das der dringende Wunsch aller Angehörigen, die durch den Terror des NSU einen geliebten Menschen verloren haben. Allein schon deswegen hätte man sich dazu durchringen können. Und zum anderen: Was ist das eigentlich für ein Verständnis von Politik, die nicht alles daran setzt, Verbrechen lückenlos aufzuklären, sondern aus Angst vor Fehlern Informationen zurückhält?

Man kann sich darüber streiten, warum die Akten jetzt - und auch von wem und mit welchem Interesse - veröffentlicht worden sind. Aber die Aufregung vonseiten der hessischen CDU, wie zum Beispiel von Holger Bellino, der hier die Pressefreiheit überschritten sieht, ist nicht nachvollziehbar. Sie hätte dieses Leaken des Berichts doch selbst abbiegen können. Es lag in ihrer Hand zu sagen: Ja, liebe Bürgerinnen und Bürger, wir nehmen euch ernst und wollen im Sinne der Transparenz alles auf den Tisch legen, damit wir und der Verfassungsschutz gegebenenfalls aus Fehlern lernen können.

Chance für Veränderung

Das hätte Vertrauen, das dieser Sache bei vielen Menschen schon lange verloren gegangen ist, vielleicht wiederhergestellt. Das wäre eine konkrete Umsetzung des Versprechens der damaligen CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel gewesen, die Verbrechen des NSU schonungslos und lückenlos aufzuklären. Das hätte nicht den Eindruck erweckt, man würde sich erst jetzt Sorge um Menschenleben machen. Und auch die Koalitionspartner, die Grünen, müssen sich jetzt erneut und zu Recht fragen lassen: Warum habt ihr das Versagen des Verfassungsschutzes so lange gedeckt?

Also deswegen danke an alle, die an der Veröffentlichung mitgewirkt haben. Und es war längst Zeit dafür. Es bleibt zu hoffen, dass der hessischen Regierung mit der Veröffentlichung jetzt mehr als Abwehr und das Wiederholen längst bekannter Argumente einfällt. Dass sie es als Chance begreift, etwas zu verändern. Alles andere bestärkt nur den Eindruck, dass sowohl Politik als auch Verfassungsschutz mehr daran gelegen ist, die eigenen Fehler zu vertuschen, als die Morde aufzuklären.

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Der Kommentar spiegelt die Meinung der Autorin und nicht die der Redaktion wider.

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Sendung: hr-iNFO "Aktuell", 31.10.2022, 6 bis 9 Uhr

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Quelle: hr INFO