Proteste in China Nur ein Aufmucken oder gar schon ein Aufbegehren?
Lange Zeit war es beinahe unvorstellbar, dass es in China zu großen Protesten in der Bevölkerung kommt. Doch in den letzten Wochen und Monaten hat es genau das gegeben. Die Demonstrationen richteten sich in erster Linie gegen die sehr strikte Null-Covid-Politik der Regierung. Aber es geht längst auch um mehr.
Es waren schon ungewöhnliche Szenen, die da um die Welt gingen. So etwas kannte man höchstens aus der Sonderverwaltungszone Hongkong. Jetzt also auch auf dem Festland in China: Proteste und Demonstrationen gegen die Politik der Kommunistischen Partei (KP). Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war die ganz strenge Null-Covid-Politik und im Zuge dessen die Quarantäne-Maßnahmen, die Abriegelungen ganzer Stadtviertel und auch die für alle Lebenslagen angeordneten PCR-Tests.
Inzwischen wurde zwar Vieles wieder gelockert und zurückgenommen, aber zufrieden sind nur die Wenigsten. "Jetzt sind wir in einer Art Übergangszeit, alles ist unsicher. Die normalen Menschen wissen nicht, was passiert. Das ist die jetzige Situation", sagt ein 76-jähriger Mann aus der Hauptstadt Peking. Die Regierung habe nicht klar gesagt, dass man keine Tests mehr brauche, deshalb sei es relativ chaotisch. Und es sei auch in jeder Stadt anders.
Bei Widerstand droht das Gefängnis
Damit aus der Unzufriedenheit und den Protesten kein demokratischer Flächenbrand wird, beugen Staat, Partei und Polizei vor - mit restriktiven Kontrollen, wie ein Mann erzählt: "Es ist beängstigend. Wenn die Polizei sagt, du sollst dein Handy entsperren, dann kannst du nichts dagegen tun. Du musst dich fügen, denn es gibt keine wirkliche Rechtsstaatlichkeit. Wenn du dich weigerst, können sie dich festnehmen, und du weißt nicht, was mit dir passiert. Und das ist das, wovor jeder Angst hat, dass man von der Polizei festgenommen wird."
Das Wesen einer jeden Diktatur: Bei Aufmucken und Widerstand droht das Gefängnis. Nach Ansicht von Politikwissenschaftler Professor Wolfgang Merkel sind es vor allem die wirtschaftlichen Erfolge, die die KP in China am Leben und an der Macht halten: "Brechen die jetzt ab, ist es fast noch schlimmer für ein autoritäres Regime, als wenn sie diese nie gehabt hätten. Denn dann werden Enttäuschungen produziert und diejenigen, die enttäuscht sind, haben mittlerweile wirtschaftliche Fähigkeiten, wirtschaftliche Macht, die sie ins Spiel bringen können. Und dann verlangen sie eine politische Mitsprache", so der Wissenschaftler vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Das wäre eine klassische Sollbruchstelle, die auch China erwischen könnte.
Wirtschaftliche Probleme als Chance für Demokratiebewegung?
Und in der Tat stottert der chinesische Wirtschaftsmotor, die strikten Corona-Maßnahmen haben zu erheblichen ökonomischen Problemen geführt, im In- und auch im Ausland. China ist für die Weltwirtschaft nicht unerheblich. Aber reicht das, um der Demokratiebewegung im Reich der Mitte zu einem echten Aufschwung zu verhelfen, gar zu einem Sieg über die Diktatur? "Da muss man, glaube ich, ein bisschen skeptisch sein", sagt der Politikwissenschaftler und Ostasien-Experte Professor Eberhard Sandschneider. Die Kontrollmöglichkeiten der KP seien heute ganz andere als etwa 1989. Damals habe die Partei nur junge Soldaten mit scharfer Munition gehabt, heute habe sie die ganze Palette der Kontrolle - auch von öffentlichen Demonstrationen. "Und die wirkt, wie man gesehen hat. Die Demonstrationen sind relativ schnell zumindest massiv in Grenzen gehalten worden, wenn nicht gar ausgeschaltet worden", so Sandschneider.
Das sind keine optimistischen Prognosen für die Demokratie in China. Aber wie sagt man so schön: Manchmal kommt es erstens anders und zweitens, als man denkt.
Sendung: hr-iNFO "Aktuell", 6.12.2022, 9 bis 12 Uhr
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