Verkehrsreform Kommunen fordern mehr Freiheit bei Tempo 30
Fast 400 Kommunen in Deutschland wollen selbst entscheiden, wo bei ihnen Tempo 30 gelten soll. Der Initiative gehört auch die Stadt Rödermark im Kreis Offenbach an. Ein Blick in den Stadtteil Urberach zeigt: Ein Allheilmittel wäre das nicht. Aber für viele Anwohner ein Fortschritt.
Ein Auto nach dem anderen rollt am Vormittag durch die Rodaustraße in Rödermark-Urberach. In der tiefen Betonschlucht unter der Bahnbrücke ist es besonders laut. Wenig los, sagt Jakob Rhein. Er wohnt nur ein paar Schritte entfernt. "Wir haben das Schlafzimmer auf dieser Seite und die Kinder haben wir bewusst nach Süden verlagert, dass die es ruhiger haben." Denn nachts sei der Lärm am Schlimmsten. "Ab drei, halb 4 Uhr morgens fängt der Spaß halt an. Kinder, Erwachsene, die zur Arbeit müssen, werden aus dem Schlaf gerissen."
Karl-Ludwig Puchert kennt das nur zu gut. Auch er wohnt an der Trasse, die nördlich am alten Ortskern von Urberach vorbeiführt: "Wir haben große Schlaglöcher drin, die einen wirklich morgens aus dem Bett hauen - trotz Schallschutzfenster und anderen Maßnahmen. Von der Optik her lädt die Rodaustraße halt zum Schnellfahren ein. Dann muss man den Umweltgedanken da auch mit einspielen, dass bei Tempo 30 wesentlich weniger Emission ist."
Tempo 30 bislang nur an bestimmten Stellen erlaubt
Tempo 30. Das ist für die Menschen, die an der Rodaustraße wohnen, ein ferner Traum. Dabei ist die Stadt Rödermark vor ein paar Monaten der Initiative "Lebenswerte Städte und Gemeinden" beigetreten. Die inzwischen fast 400 Kommunen, die sich da verbündet haben, wollen selbst entscheiden, wo welches Tempolimit gilt. Bislang verhindert das die Straßenverkehrsordnung. Die erlaubt Tempo 30 nur dort, wo es einen konkreten Grund gibt. Rödermarks Erste Stadträtin Andrea Schülner nennt Beispiele: "Kita, Senioreneinrichtungen, Krankenhäuser, Schulen - das sind so die Möglichkeiten, die Geschwindigkeit einzuschränken, aber auch dann nicht auf der gesamten Strecke, sondern nur Teilbereiche davon."
Die Initiative, die bei Tempo 30 mehr Spielraum für die Kommunen fordert, wächst und wächst – auch in Hessen. Doch die gesetzlichen Voraussetzungen muss die Bundesregierung schaffen. Und das, so glaubt die Grüne Schülner, könnte noch dauern: "Ich hätte mir eine schnelle Lösung gewünscht. Aber Gesetzesinitiativen sind leider nicht ganz so schnell."
Anwohner mit Geduld am Ende
Die lärmgeplagten Anwohner der Rodaustraße sind mit ihrer Geduld längst am Ende. Jakob Rhein, Karl-Ludwig Puchert und andere Betroffene haben eine Bürgerinitiative gegründet. Puchert wartet seit mehr als 40 Jahren vergeblich auf ruhigere Nächte – seit es die Straße gibt. Schon damals habe er auf den Lärm hingewiesen. "Und es wurde auch gemessen und es wurde versprochen: 'Ja, wir überlegen uns etwas.' Wir werden immer wieder vertröstet. Es hieß einfach, es geht nach dem Gesetz nicht."
Um die stauanfällige A3 zwischen Hanauer und Offenbacher Kreuz zu vermeiden, fahren viele Pendler einen Schleichweg, der über die Rodaustraße führt. Auch viele Brummifahrer nutzen den Durchschlupf gern. Und weil er wie eine Umgehungsstraße ausgebaut ist, wird Jakob Rhein zufolge auch gern gerast: "Das schnellste Auto wurde mit 134 Stundenkilometern gemessen, das schnellste Motorrad mit 112 und Lkws fast 80 Stundenkilometer."
"Stadt besitzt auch so genug Handlungsoptionen"
Ob Rödermark dank der Initiative Lebenswerte Städte und Gemeinden bald selbst bestimmt, wo Tempo 30 gelten soll, ist für Rhein deshalb gar nicht entscheidend. Er findet, auch ohne den großen Durchbruch in Berlin besitze die Stadt genug Handlungsoptionen, um das Leben an der Rodaustraße erträglicher zu machen: "Minikreisel, Querungshilfen an diversen Stellen, Straßenquerschnitt anpassen, Flüsterasphalt, eine Entsiegelung, eine Begrünung – warum passiert da nicht mehr? Das sind Themen, da braucht man nicht auf den Bundestag oder Bundesrat zu verlagern, die könnte man aktiv jetzt angehen."
Sendung: hr-iNFO "Aktuell", 19.1.2023, 6 bis 9 Uhr
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