Klimafreundliche Energie Zwischen Hype und Wirklichkeit: Hessen und der Wasserstoff
Wasserstoff gilt als eine Art Wundermittel, wenn es um die Frage nach klimafreundlicher Energie geht. Ohne ihn seien die Klimaziele nicht zu erreichen, sagen Bund und Länder. Aber wie weit ist Hessen tatsächlich auf dem Weg ins Wasserstoffzeitalter?
27 Nahverkehrszüge, die von Wasserstoff angetrieben werden und bis zu 140 Stundenkilometer schnell fahren können: Das ist die Zukunft auf den Taunusstrecken im Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV). Die Züge sollen Triebwagen ersetzen, die bisher mit Diesel fahren und deshalb CO2 ausstoßen. Der Wasserstoffzug emittiert nur Wasserdampf und Kondenswasser.
Die Idee dahinter: Nur 54 Prozent des Schienennetzes in Deutschland sind elektrifiziert, da können die Züge mit Strom aus der Oberleitung fahren. Auf dem Rest des Netzes fahren bisher Diesel-Züge. Deren CO2-Ausstoß könnte künftig wegfallen, wenn Wasserstoffzüge eingesetzt werden. So wie ab Dezember bei den Taunusbahnzügen des RMV.
Beschaffungsprobleme
Sie tanken ihren Wasserstoff im Industriepark Höchst. Dort gibt es schon eine Tankstelle für Wasserstoff-Busse, die auf dem riesigen Gelände fahren. Denn am Standort Höchst wird schon seit 100 Jahren mit Wasserstoff gearbeitet, sagt Joachim Kreysing, Geschäftsführer von Infraserv, die den Industriepark betreibt: "Insofern haben wir hier auch ein Wasserstoff-Pipeline-Netz im Industriepark. Wir haben einen Betrieb, der Wasserstoff als Nebenprodukt herstellt, und wir haben Betriebe, die Wasserstoff als Rohstoff brauchen. Inzwischen nutzen wir den Wasserstoff eben auch stark für Mobilitätsanwendungen." Für Pkw, für Busse und demnächst eben auch für Züge.
Wasserstoff wird als Rettungsanker in der Klimakrise gehypt. Aber es kann in größerem Maßstab nur dann funktionieren, wenn genug Wasserstoff da ist. Da hapert es gewaltig. Und daran ändert sich nur langsam etwas, meint Joachim Kreysing: "Die großen Wasserstoffmengen - und wir sprechen ja letztlich über grünen Wasserstoff, der aus erneuerbarem Strom hergestellt wird - werde ich zu einem großen Teil importieren müssen: aus Kostengründen, aus Platzgründen. Und der Part wird weiterhin nicht ausreichend schnell vorangetrieben."
Fehlende Grünstrom-Kapazitäten
"Grüner" Wasserstoff ist ein wichtiges Stichwort. Denn grüner Wasserstoff meint: hergestellt ohne fossile Energien, also ohne CO2-Emissionen. Und das ist der Haken: Die Züge des Rhein-Main-Verkehrsverbundes werden ab Dezember zwar mit Wasserstoff fahren, aber nicht mit dem Wundermittel grüner Wasserstoff. Denn die schlichte Wirklichkeit sieht so aus: Vor 2030, sagt das Hessische Energieministerium, wird Hessen gar nicht mit grünem Wasserstoff versorgt werden können. Weil weder Hessen noch ganz Deutschland ausreichende Grünstrom-Kapazitäten für die Herstellung haben. Und woher importiert werden könnte - Kanada, Afrika, arabischer Raum – steht keineswegs schon fest.
Hessen hat jedenfalls keine nennenswerten Kapazitäten zur Wasserstoffherstellung. Tarek Al-Wazir, Energieminister der hessischen Landesregierung, glaubt deshalb, es müssen klare Prioritäten gesetzt werden für Hessen: "Absolute Priorität hat der Luftverkehr. Der Luftverkehr ist in Hessen mit der größte Energieverbraucher. Am Frankfurter Flughafen wird ungefähr so viel Kerosin vertankt, wie insgesamt im restlichen Verkehr in Hessen an Energie benutzt wird."
Experimente mit synthetischen Flugzeug-Kraftstoffen
Deshalb wird auch in Hessen – unterstützt von der Landesregierung - mit der Herstellung synthetischer Kraftstoffe für Flugzeuge experimentiert. Im Industriepark Höchst wird die Firma Ineratec eine erste Produktionsanlage dafür bauen. Philipp Engelkamp, Mitgründer von Ineratec, erklärt, wie es geht: " In den Reaktor kommt Wasserstoff und Kohlenmonoxyd rein und dann bekommen wir Kraftstoffe, das heißt Benzin, Kerosin, Diesel und Wachse, aus dem Reaktor raus. In einem vorgelagerten Schritt wird aus CO2 Kohlenmonoxyd hergestellt und so können wir sagen, dass wir aus Wasserstoff und CO2 erneuerbare Kraftstoffe herstellen können."
Klingt gut. In der Pilotanlage sollen maximal 4,6 Millionen Liter synthetische Kraftstoffe pro Jahr produziert werden. 2019 wurden im Luftverkehr allerdings allein in Deutschland etwa zwölf Milliarden Liter Kerosin verbraucht. Das allein zeigt schon, wie weit der Weg noch ist. Hinzu kommt: Synthetisches Kerosin ist bisher noch deutlich teurer als klassisches, aus Erdöl gewonnenes Flugbenzin. Aber selbst, wenn Wasserstoff sich im Luftverkehr einmal rechnen sollte, bleibt immer noch die Frage: Wo kommt all der Wasserstoff her, der dafür gebraucht wird?
Sendung: hr-iNFO "Aktuell", 6.10.2022, 6 bis 9 Uhr
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