Verkehrswende auf dem Land "Mobilität ist eine Sache der Gewohnheit"
Schlecht angebunden, weite Distanzen: Für das Leben auf dem Land haben die meisten ein Auto. Doch geht das auch anders? Könnte man sich dieses Auto nicht auch – wie in Großstädten – mit anderen Menschen teilen? Diesen Versuch startet eine Gemeinde im Wetteraukreis.
Die kleine gelbe Hessische Landesbahn ächzt ein wenig, während sie in die Station Effolderbach einfährt. Schnell kann es passieren, dass man die Haltestelle verpasst. Denn das sogenannte Gleis – es gibt nur eins für beide Richtungen – besteht aus einem Schotterweg. Nun könnte man auf den Bus warten, aber um alles in Effolderbach zu erreichen, braucht man rund zehn Minuten zu Fuß. Zum Einkaufen sieht es anders aus. Da sind es bis zum nächstgelegenen Ort schon rund anderthalb Kilometer.
In Effolderbach sind also die meisten per Auto unterwegs. Von 520 Einwohnern gibt es in einigen Haushalten sogar mehr als ein Auto pro Haushalt, nur sehr wenige haben keins. Läuft man durch Effolderbach, sieht man viele malerische Fachwerkhäuser, gemütliche Höfe, liebevoll gepflegt.
Mit gutem Beispiel vorangehen
Und in manchen dieser Fachwerkhäuser wohnen Menschen, die sich für eine Verkehrswende einsetzen, wie zum Beispiel Pia Heidenreich-Herrmann. Sie ist Architektin, Klimaschutz-Managerin und seit 2007 im Bauamt der Stadt Ortenberg tätig. Dort ist sie für die Liegenschaftsverwaltung, Radwege, digitale Infrastruktur und Mobilität zuständig. Zur Arbeit fährt sie fünf Kilometer mit dem Rad. Für Shoppingtouren in die nächste größere Stadt nimmt sie meistens die Bahn – sowohl nach Frankfurt als auch nach Gießen braucht man von dort rund eine Stunde.
Für sie funktioniert Verkehrswende auf dem Land. Das mag aber auch daran liegen, dass sie sich besonders viel dafür einsetzt. Sie hat nämlich das Carsharing-Projekt "Dorfbeweger" initiiert. Über die Stadt Ortenberg werden ein Elektro-Kleinwagen und ein StreetScooter geleast. Und für zwei Euro die Stunde und 25 Cent pro Kilometer sind die beiden Fahrzeuge für alle, die sich registrieren lassen, nutzbar. Darüber hinaus stehen fünf elektrische Lastenräder, ein E-Bike und zwei elektrische Klappräder kostenlos zur Verfügung.
"Je mehr sich die Bürger damit beschäftigen, desto mehr identifizieren sie sich damit"
Bisher haben mit ihr schon 14 Leute den Kleinwagen über das Sharing-System genutzt, erzählt Brigitte Port. Das Interesse sei groß, sagt sie, vor allem an dem StreetScooter. Der muss zwar erst noch für das Carsharing aufbereitet werden, dann kann man mit ihm aber bequem und elektrisch angetrieben zum Recyclinghof oder Möbelgeschäft fahren. Die 69-Jährige ist vor allem Fan von den Lastenrädern. Damit fährt sie zum Einkaufen oder ins Schwimmbad. Port ist eine der Bürgerinnen, die sich beim Projekt auch eingebracht haben.
Einige Bürger wurden dann Projektmitglieder. Das sei anstrengender gewesen, als wenn man alles von der Stadtverwaltung aus organisiert hätte. "Aber je mehr sich die Bürger mit dem Thema beschäftigen und sich das miterarbeiten, desto mehr identifizieren sie sich auch damit", sagt Heidenreich-Herrmann. Und das sei auch viel nachhaltiger, ist sie überzeugt.
Begeisterung und kalte Füße
Ihr Ziel ist es, mindestens einen Effolderbacher davon zu überzeugen, sein privates Auto als Fahrzeug für das Carsharing-Projekt zur Verfügung zu stellen. So jemanden wie Dietmar Wäß zum Beispiel. Er ist begeistert von der Idee einer Verkehrswende auf dem Land. Und da er kürzlich aufgehört hat zu arbeiten und sein Auto im Schnitt nur noch zwei Mal die Woche benutzt, hat er mit dem Gedanken gespielt, sein Auto in den Carsharing-Pool zu geben.
"Ich fand die Idee toll und hätte es auch gerne gemacht, ich habe aber doch wieder kalte Füße bekommen", sagt Wäß. Für ihn als Privatmann gebe es noch einige Hürden zu nehmen wie zum Beispiel die Versicherung. Die würde nämlich das Vierfache kosten im Vergleich zu seiner aktuellen Versicherung. Und ob der ehemalige Ingenieur für Gießereitechnik diese Kosten über das Vermieten seines Autos wieder reinbekommen würde, das kann ihm zu diesem Zeitpunkt noch niemand sagen. Erfahrungswerte gibt es noch keine.
"Eingriff ins Privatleben"
"Ich habe den Eindruck, dass es schwierig ist, Carsharing auf dem Land durchzusetzen. Weil jede Familie über mindestens ein Fahrzeug verfügt. Der Bedarf, ein Auto zu mieten, ist hier auf dem Land nicht so hoch wie vielleicht in einer Metropole", sagt er. "Ohne Förderung ist es nicht zu machen", ergänzt der Mann mit dem NABU-Aufkleber auf dem Auto.
Der Überlassungsvertrag für sein Auto würde ihn für 24 Monate binden, eine Förderung findet bisher aber nur für zehn Monate statt und deckt 80 Prozent der Kosten. Er müsste also die Kosten über seine Einnahmen decken: "und das ist die Schwierigkeit". Und auch das Emotionale sei nicht zu vernachlässigen, sagt er. "Mein Auto ist ein bisschen wie mein Wohnzimmer. Und dieses Wohnzimmer plötzlich mit fremden Leuten zu teilen, das ist gar nicht so einfach", sagt er. Auch dass seine eigenen Autoschlüssel dafür deaktiviert werden müssten, das sei ein Eingriff ins Privatleben. "Das habe ich mir vorher gar nicht bewusst gemacht", gesteht er.
Eine Sache der Gewohnheit?
Aber noch sind nicht alle Effolderbacher so begeistert bei der Sache wie Brigitte Port oder Dietmar Wäß. Gewohnheiten von Mobilität umzustellen, darin sieht Heidenreich-Herrmann das größte Problem. Die meisten würden denken: "Es ist umständlich, es ist nicht so bequem oder flexibel. Dabei berücksichtigen die Leute nicht die Vollkosten, die sie mit einem Auto haben", erklärt sie.
In einer Studie, die die Stadt Ortenberg in Auftrag gegeben hat, kam heraus, dass Haushalte mit zwei Autos jährlich 2000 bis 3000 Euro einsparen könnten, wenn sie eins von zwei Autos verkaufen und auf Carsharing umsteigen würden. Die Initiative wird noch für zwei Jahre vom Bundesumweltministerium gefördert. Am Bahnhof in Effolderbach ruft eine Einwohnerin Heidenreich-Herrmann zu, dass sie sich jetzt auch für das Carsharing registriert hat. Verkehrswende auf dem Land – könnte klappen, braucht aber sicherlich Zeit.