Studie zu Einsamkeit und Demokratie Einsame Jugendliche sind anfälliger für Verschwörungsmythen

Macht Einsamkeit junge Menschen antidemokratischer? Ein Team aus Forschenden ist der Frage nachgegangen und hat Zusammenhänge entdeckt. Wie sie auf die Idee gekommen sind, das zu erforschen, und was genau sie herausgefunden haben, darüber hat Studienautorin Claudia Neu mit hr-iNFO-Moderator Oliver Glaap gesprochen.

Einsamkeit
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Claudia Neu ist Soziologin an der Universität Göttingen. Sie ist eine der Autorinnen der Studie "Extrem einsam? Eine Studie zur demokratischen Relevanz von Einsamkeitserfahrungen unter Jugendlichen in Deutschland" - in Zusammenarbeit mit der Denkfabrik "Das progressive Zentrum", der Diskriminierungsexpertin Beate Küpper und der Einsamkeitsforscherin Maike Luhmann. [mehr]

hr-iNFO: Inwieweit unterscheiden sich die Einsamkeitserfahrungen junger Menschen von denen älterer Menschen?

Claudia Neu: Ob Einsamkeit sich tatsächlich bei unterschiedlichen Generationen unterschiedlich auswirkt, ist so weit noch gar nicht untersucht. Wir wissen aber aus international vergleichenden Studien, dass Einsamkeit ein Gefühl ist, zu wenige Kontakte zu anderen Menschen zu haben. Und ich vermute, dass sich das bei allen sehr ähnlich anfühlt: Dieser Schmerz mit Sorgen und Nöten zu niemandem gehen zu können, vielleicht auch mit den Eigenheiten, die man im Laufe des Lebens angesammelt hat, keinen Kontakt zur Gesellschaft, oder auch vielleicht nicht zur Familie oder dem näheren Freundeskreis zu finden. Ich glaube, dass dieser Schmerz der Einsamkeit sich bei allen Generationen relativ ähnlich anfühlt.

hr-iNFO: Junge Menschen, die unter Einsamkeit leiden - ist das eher die Ausnahme in Deutschland oder ein viel größeres gesellschaftliches Problem, als es uns bislang bewusst gewesen ist?

Neu: Ich würde mit einem klaren "Jein" antworten. Das erste, das "Nein", bezieht sich darauf, dass Gottseidank Einsamkeit nur wenige Menschen betrifft. Aber es sind doch mehr - und damit ist es eben auch mehr Aufmerksamkeit wert - als wir denken würden. Je nach Studie - das kommt auch immer darauf an, wie man Einsamkeit misst - sind es nur zwischen vier und zehn Prozent, manchmal auch 15 Prozent, die sagen, dass sie manchmal Einsamkeit fühlen oder unter Einsamkeit leiden.

Dabei ist es so, dass Einsamkeit im Lebenslauf nicht kontinuierlich ansteigt, sondern wir wissen aus Forschungen, dass es in Wellen kommt. Und eine dieser Wellen ist tatsächlich die Jugendphase und die Phase des jungen Erwachsenen-Seins. Das ist sehr deutlich ausgeprägt. Dann noch mal im mittleren Alter. Und dann geht es eben sehr, sehr steil bergauf, ab dem 75. Lebensjahr. In der Corona-Pandemie hat sich aber gezeigt, dass gar nicht die Älteren diejenigen sind, die am meisten belastet waren, sondern die Jugendlichen haben sehr, sehr stark unter Einsamkeit gelitten. Da sind die Einsamkeitswerte bis auf 50 Prozent nach oben geschossen. Also Jugendliche, die sagen, dass sie manchmal unter Einsamkeit leiden.

hr-iNFO: Sie haben in Ihrer Studie versucht herauszufinden, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen den Erfahrungen, die junge Menschen mit Einsamkeit machen, und ihrer Einstellung zur Demokratie. Wie sind Sie zu dieser ungewöhnlichen Fragestellungen gekommen?

Neu: Da gibt es verschiedene Anläufe. Ich würde zwei nennen: Es ist relativ frische Forschung, dass auch Raumstrukturen Einfluss auf Einsamkeit haben. Also es ist nicht so, dass Einsamkeit nur ein rein individuelles Problemist. Natürlich, für jeden, der betroffenen ist, der ist immer zu 100 Prozent betroffen und empfindet das sicher als eine ganz große Katastrophe. Aber wenn man sich die gesellschaftlichen Bedingungen anschaut, dann erkennen wir zunehmend, dass es Raumstrukturen gibt - also fehlende Infrastruktur, zu weite Wege zur nächsten Freizeitbeschäftigung -, die dann Einsamkeit auslösen können. Und so stellen wir in unserer Studie fest, dass einsame Jugendliche deutlich häufiger "Unwohlfühlorte" haben. Also sie geben deutlich häufiger an, dass sie sich unwohl in ihrer Umgebung finden, als nicht einsame Jugendliche.

Der zweite Ansatzpunkt ist, dass die Wahlgeographie - also wie verteilen sich Wähler und welche demografischen Zusammenhänge gibt es bei Wahlentscheidungen - in jüngster Zeit zeigt, dass einsame Menschen weniger selten zur Wahl gehen. Und aus der Forschung aus Amerika wissen wir, dass Menschen dann auch mehr zu populistischen Parteien neigen. Und das zusammengemixt mit der Erkenntnis "Jugendliche sind besonders häufig und gerade nach Corona betroffen", dass es Raumstrukturen gibt, die Einsamkeit begünstigen und die Situation, dass es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und populistischer Wahl zu geben scheint, all das hat uns dann zu dieser Fragestellung veranlasst.

hr-iNFO: Kann man das unter dem Strich das tatsächlich so zusammenfassen: Einsame Jugendliche sind deutlich empfänglicher für Populismus und Verschwörungsmythen?

Neu: Wir dürfen das jetzt nicht pathologisieren oder überbewerten. Denn insgesamt ist der Zusammenhang zwischen Einsamkeit und antidemokratischen Haltungen nicht sehr stark ausgeprägt. Wenn wir aber die antidemokratischen Haltungen ein bisschen aufsplitten, zum Beispiel, inwieweit Gewalt präferiert wird oder als legitimes Mittel empfunden wird oder auf Verschwörungsmythen zu schauen, dann sehen wir, dass es doch deutlichere Zusammenhänge gibt: zum Beispiel zwischen Einsamkeit und Verschwörungsmythen.

Weitere Informationen

Sendung: hr-iNFO "Aktuell", 10.2.2023, 15 bis 18 Uhr

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Quelle: hr-inforadio.de/ricma