Genossenschaftliches Wohnen "Eine andere Form von Nachbarschaft"
Was tun gegen explodierende Mieten und Wohnraummangel? Eine Möglichkeit ist genossenschaftliches Wohnen wie im Projekt "beTRIFT" im Frankfurter Stadtteil Niederrad. Diese Art des Zusammenlebens sei manchmal anstrengend, sagen die Bewohner. Aber vor allem sehen sie die vielen Vorteile.
Die Gebäude sind hell und luftig, die Fenster groß, die Fassaden und Dächer begrünt: So sieht es einmal aus, das Projekt beTRIFT - wenn wirklich mal alles fertig ist. Im Sommer 2018 war erster Spatenstich, bis 2021 hätte der Bau durch die beauftragte Firma fertig werden sollen.
Doch dann kam alles anders, erinnert sich Joachim Lölhöffel vom Vorstand: "Von heute auf morgen waren die Bauarbeiter nicht mehr da. Container standen rum und halbfertige Arbeiten lagen –jeder konnte das sehen. Was machen wir denn jetzt? Wir haben insofern Glück gehabt, dass wir Handwerker gefunden haben, die unsere Situation nicht ausgenutzt haben. Das ist das Eine. Und das Andere: Dass wir hier einen Allroundhandwerker beschäftigen können, der viel an den Außenanlagen macht mit Hilfe von anderen, die mitmachen. Fertig sind wir noch nicht - aber wir werden irgendwann fertig sein!"
"Ein bunter Mix"
Auch wenn manches noch nicht fertig ist – die 51 Wohnungen sind schon fertig. Und die allermeisten auch bewohnt. Das hat unter anderem den Vorteil, dass alle mit anpacken können - weil eben alle schon da sind. So wie Rudi Schätzlein. Er ist Rentner und oft in der Hausgemeinschaft unterwegs, wenn es etwas zu reparieren gibt.
Was reizt ihn an dem Wohnprojekt? "Die Gemeinschaft selbst und der bunte Mix", sagt er. "Wir sind ja hier von neugeboren bis scheintot, haben einen Querschnitt durch alle Bildungsstufen, es sind Leute da, die auch Unterstützung brauchen, die auch finanzielle Unterstützung kriegen, die geförderten Wohnraum haben, und die sind genauso mitintegriert. Und das finde ich das Schöne, dieses gelebte Miteinander von unterschiedlichen Kulturen. Das macht es für mich spannend."
Kosten aufteilen, gemeinsam entscheiden
Natürlich kann das Spannende auch mal anstrengend sein. Weil so eine Genossenschaft nach demokratischen Prinzipien funktioniert. Alle gemeinsam treffen die Entscheidungen, organisieren das Zusammenleben, tragen die Verantwortung und die Kosten für das Genossenschaftsprojekt. Für viele einer der wichtigsten Punkte dabei: das Geld. "Die Mitgliedschaft in der Genossenschaft setzt voraus, dass man einen Anteil an Geld in die Genossenschaft steckt, der in Relation steht zum Wohnraum, den man gerne hätte. Wir haben also in unserer Satzung festgelegt: Für jeden Quadratmeter Wohnraum brauchen wir 500 Euro," sagt Joachim Lölhöffel.
Und Bewohner Rudi Schätzlein rechnet vor: "Das heißt, ich habe jetzt sagen wir mal eine Wohnung mit rund 60 Quadratmetern, dann sind es 30.000 €uro gewesen, die ich der Genossenschaft zur Verfügung gestellt habe. Dieses Geld bleibt mein Eigentum, sollte ich irgendwann mal austreten. Wenn ich irgendwann versterbe, kommt das in die Erbschaft rein."
"Neue Form von sozialen Beziehungen"
Dazu kommt dann die Nutzungsgebühr für die Wohnung. Die beTRIFT-ler sind stolz, dass sie den Preis trotz Corona und explodierender Baukosten bei zwölf Euro pro Quadratmeter halten konnten. Und wie ist das mit der Gemeinschaft? Bei 120 Menschen mit ihren Ideen, Vorstellungen, Lebensanschauungen und Meinungen?
"Wir sind eine andere Form von Nachbarschaft. Wir sind ja keine Familie, sind ja kein Dorf. Es ist eine neue Form von sozialen Beziehungen, von Diskussionen, von streiten," sagt Wolfgang Kopyczinski, einer der Bewohner. "Das ist manchmal sehr anstrengend und wenn wir Freunden davon erzählen, dann denken die: 'Puh! Zum Glück habe ich das nicht an der Backe!' Aber wenn wir von den schönen Sachen erzählen, dann denken manche auch: 'Ja, jetzt versteh ich, warum Ihr das auf Euch nehmt!'"
Bezahlbarer Wohnraum mit Wir-Gefühl
Angelika Siegburg, die von Anfang an dabei war, erinnert sich an vergangene WG-Zeiten und findet, dass sie es heute viel besser hat. In Gemeinschaft, aber mit genügend Raum für sich selbst. "Da war alles sehr eng: Man arbeitet zusammen, man lebt zusammen, 24 Stunden mit denselben Leuten. Das ging gut, aber nach sieben Jahren war's genug. Der weitere Traum war eben eine Fortsetzung davon, aber: leben zusammen - aber nicht arbeiten zusammen, und einen Rückzug zu haben, also nicht nur ein Zimmer, sondern eine ganze Wohnung."
Die Frankfurter Genossenschaft hat - trotz Krisen - gemeinsam ein bezahlbares Wohnprojekt hochgezogen. Mit Kompromissbereitschaft und einem ausgeprägten Wir-Gefühl.
Sendung: hr-iNFO "Aktuell", 8.11.2022, 6 bis 9 Uhr
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