Professor Sebastian Seibert, "Scientists for Future" Klimaschutz geht nur zusammen

Protest müsse wachrütteln, sagen die Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation", sonst würde sich nichts ändern. Das habe der friedliche Protest der vergangenen Jahre gezeigt. Stimmt das? Oder erweisen sie der Sache nicht eher einen Bärendienst? Darüber haben wir mit Professor Sebastian Seiffert gesprochen. Er ist Teil der Klimaschutzbewegung "Scientists for Future".

Sebastian Seiffert
Sebastian Seiffert ist Professor für Physikalische Chemie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und Teil der Klimaschutzbewegung "Scientists for Future". Bild © sebastian-seiffert.net
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hr-iNFO: Was halten Sie davon, dass Menschen, die eigentlich das gleiche Ziel verfolgen wie Sie selbst, zu radikaleren Mitteln greifen?

Seiffert: Vielleicht vorweg: Die letzte Generation mit kleinem „l“, also mit Adjektiv, das sind tatsächlich wir alle, die noch wirksame Mittel ergreifen kann, um eine Klimakatastrophe zu verhindern. Die Gruppierung „Letzte Generation“ mit großem „L“ im Sinne von Eigenname, das ist eine klimaaktionistische Protestbewegung, die mit sehr konfrontativen Aktionsformen agiert. Und sie sagen, dass andere Formen, beispielsweise Demonstrationen, Aufklärungsarbeit, Politikberatung und so weiter, dass sie darin keine Wirksamkeit sehen.

Ich persönlich habe da andere Erfahrungen gemacht. Also beispielsweise wurde ich selbst durch solche eher moderaten Aktionsformen erreicht und dann am Ende selber aktiv - im Zuge der "Fridays for Future"-Demonstrationen 2019, auch durch eine Aktion der "Scientists for Future", die nannte sich "Lectures for Future" damals, durch eine andere Aktion "Public Climate School" der "Students for Future". Und vor allem durch viele einprägsame, wertschätzende Kontakte mit diesen Teilen der Klimaschutzbewegung.

hr-iNFO: Ein Kern der Kritik an der "Letzten Generation" lautet ja, dass sie im Grunde ihr Ziel verfehlten. Wie könnte denn in ihren Augen ein sinnvoller Protest aussehen?

Seiffert: Ich nehme mit Sorge eine Polarisierung der Gesellschaft wahr. Das Klima wird nicht nur physikalisch, sondern auch gesellschaftlich aufgeheizter, Auseinandersetzung werden schärfer, der Ton wird rauer, Fronten verhärten sich. Ich habe selber zu Zeiten meines Postdocs an der Harvard University mal für zwei Jahre in den USA gelebt und habe das miterlebt, wie das aussieht, wenn so etwas fortschreitet. Also wenn eine Gesellschaft wirklich sehr gespalten und sehr polarisiert ist. Und das möchte ich nicht. Denn letztlich geht es nur zusammen. Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Demokratie ist die Suche nach Mehrheiten. Meine Aufgabe, die sich daraus ableitet, ist es nun, dass ich mit diesen Aktionsformen, die ich für mich als die richtigen identifiziert habe, einfach erfolgreich bin.

hr-iNFO: Der Protest der "Letzten Generation" hat dazu geführt, dass viele ihr Urteil schon gefällt haben: Da ist von Klima-Extremisten und Klima-Kriminellen die Rede. Hat die "Letzte Generation" also der Sache, die ja auch ihre Sache ist, einen Bärendienst erwiesen?

Seiffert: Ja, das habe ich auch beobachtet. Ich bin ja beispielsweise bei mir in der Nachbarschaft auch als der Klimaschützer bekannt und habe auch manche Gespräche. Und gerade in der letzten Woche war es so, dass viele Nachbarinnen und Nachbarn  ankamen und sagen: 'Ja, also das, was da jetzt gerade passiert, das finde ich aber nicht so gut.' Und ich habe dann tatsächlich immer versucht, das Gespräch auf die Sache zu lenken, habe gesagt: 'Ja, also finde ich auch nicht so gut, aber wie stehst du denn zur Forderung mit dem Neun-Euro-Ticket, die dahinter steht?' Und es war gar nicht möglich, darüber zu sprechen. Es ging tatsächlich immer auf diese Sache zurück.

hr-iNFO: Wann ist denn in Ihren Augen eine Grenze des Protests erreicht oder überschritten?

Seiffert: Ich denke, wir sind alle gerade dabei, Grenzen zu überschreiten. Einerseits verschärft sich die Klimakrise, also ihre Auswirkungen werden immer deutlicher und gefährlicher und spürbarer. Gleichzeitig wird die gesellschaftliche Lage immer angespannter. Und ja, in der Tat werden jetzt auch die Protestformen konfrontativer. Und das, finde ich, ist eine sehr gefährliche Mischung, diese drei Ströme, die da zusammenfließen. Eins, ist klar: Die allergrößte Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden, also für unseren Wohlstand, für unsere Sicherheit und auch für unsere Demokratie, sind komplexe multiple Krisen, die sich überschlagen, die uns überrollen und denen wir irgendwann nichts mehr entgegensetzen können.

hr-iNFO: Nun gehen zum Beispiel "Fridays for Future" und auch "Scientists for Future" aber schon lange auf die Straße, ohne dass sich an der Klimapolitik wirklich maßgeblich etwas verändert hätte. Deshalb sagt ja die "Letzte Generation", Trillerpfeifen und Plakate reichen nicht mehr aus. Was halten Sie dem entgegen?

Seiffert: Ich würde nicht unbedingt nur von Protest sprechen, sondern vom Ergreifen von Initiative. Protest ist erst mal ein Ausdruck von Problembewusstsein, das ist auch wichtig. Genauso wichtig ist aber auch die Suche nach Lösungswegen. Ich habe mal ein schönes Zitat von der Hirnforscherin Maren Urner gehört, das lautete: 'Das Reden über Probleme schafft Probleme, das Reden über Lösungen schafft Lösungen.' Und ich suche jetzt halt nach Wegen, Lösungen zu schaffen. Und für mich bestehen die darin, etwas, was ich gerne und hoffentlich auch gut mache, mit dem zu verbinden, was mir wichtig ist. Und das finde ich konkret in meinem beruflichen Umfeld.

Mein eigener Beruf, der Beruf des Hochschullehrers, der ist eigentlich prädestiniert dafür. Denn in keinem anderen Beruf gibt es eine solche Kombination von Freiheit und Sicherheit. Und das ist ein großes Privileg, das für mich eine ebenso große Pflicht bedeutet. Und wenn man mal anfängt, sich zu engagieren für den Klimaschutz, dann lernt man die schönste Facette davon kennen - man trifft unglaublich tolle Menschen, die engagiert sind, die dabei keine Eigeninteressen verfolgen, die dir auch keine Hintergedanken unterstellen, wenn du mal was vorschlägst, die einfach Idealisten und teils auch Optimisten sind, sonst würden sie sich einfach in Fatalismus ergehen, wenn sie das nicht wären. Und ich denke, gerade in heutigen Zeiten brauchen wir mehr Idealisten und Optimisten.

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Das Interview führte Barbara Pieroth.

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Sendung: hr-iNFO "Aktuell", 11.11.2022, 9 bis 12 Uhr

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Quelle: hr INFO